When in doubt, consult a shoe?
Dec. 1st, 2008 09:42 pmIn meiner ersten Woche in Polen (ist das wirklich schon zehn Monate her?), als ich das erste Mal in einer gemischten Googler-Gruppe ins Breslauer Leben hinauszog, ließ ich mich nichtsahnend an einem Tisch nieder, der ein wenig zu klein für unsere Gruppe und darum großzügig umstuhlt war.
Kaum saß ich, zog mich eine der Gosias (*) von meinem Stuhl und wirkte aufgeregt.
"Nein, das geht nicht, schnell, wir tauschen die Plätze - ich nehme Deinen Platz. Ich bin ja verheiratet."
Der Kontext erschloss sich mir keineswegs. Schließlich gab ich aber nach und bekam statt meinem mittelkomfortablen Platz an der Ecke des Tisches einen mit direktem Zugang zu einer Tischseite.
Die Erklärung folgte bald: In Polen (und übrigens auch in der Ukraine) befürchtet man, dass eine auf eine unverheiratete Frau zeigende Tischecke auf irgendeinem obskuren Wege deren Chancen auf eine zukünftige Heirat zunichte macht. Gosia war bereits sicher, da unter der Haube, und konnte so entspannt den Platz an mich abtreten.
Am letzten Freitag hatten wir eine vorgezogene Andrzejki-Party im Büro. Andrzejki ist eigentlich am 30. November, am Tag des heiligen Andreas. Irgendwer sagte mir mal, dass es die Fastenzeit vor Weihnachten einläutet, doch das ist unbestätigt. Sicher ist, dass man allerlei Spielchen nachgeht, in denen man als (wie könnte es anders sein) unverheiratete Frau herausfindet, ob, wann und wen man ehelichen wird. Per Wachsgießen kann man Details über den Zukünftigen zu ergründen versuchen, eine Kartenlegerin kann weitere Informationen liefern, und als Höhepunkt ziehen alle Damen einen Schuh aus und begeben sich in eine Zimmerecke. Dort stellt die erste ihren Schuh ab, die nächste ihren dann mit der Ferse an die Spitze des ersten, und sobald alle ihr Schuhwerk ebenso plaziert haben, setzt die erste ihren Schuh an die Spitze. So kann man sich dann heiter quer durch den Raum bewegen. Die Besitzerin des Schuhs, der die Türschwelle überquert, kann dann im folgenden Jahr auf eine Eheschließung hoffen.
Nun, das war dann mein Schuh. Ich war nicht allzu heiratswütig in diese Vergnügung gegangen (ich wurde eher zwangsverpflichtet), sah mich dann aber einigen sehr enthusiastischen Damen gegenüber, von denen eine sogar meinen Schuh zu erbeuten versuchte. (Das verbat ich mir, witterungshalber.)
Ich habe beschlossen, anzunehmen, dass sich nun die Weisheit meines Schuhs und die Macht des Tisches ungefähr die Waage halten.
Die Zukunft bleibt damit gewohnt ungewiss.
(*) Polen ist ein wenig unterversorgt an Vornamen in der Generation, die heute zwischen 20 und 30 ist. Unter den rund 100 Leuten im Büro reichen teilweise nicht einmal mehr die Buchstaben der Nachnamen zur eindeutigen Identifizierung - wir haben allein 3 Kasia K.s und 2 Asia Po.s und eine Vielzahl sonstiger Namensdopplungen.
Als Anke bin ich da zwar nicht direkt betroffen, doch selbst vor meinem ja eigentlich bereits verniedlichten Vornamen macht der wahre Pole nicht halt. Das Problem hier: "Anka" ist eine gängige Verkürzung von "Anna". Und Vornamen werden im Polnischen grundsätzlich nach festen Regeln abgekürzt. Eine Anna wird damit gewöhnlich zur Ania, manchmal bei besonderer Zuneigung auch zu Anusia. "Anka" wird sie dagegen nur bei Verärgerung oder höchst formaler, distanzierter Anrede. Mein Vorname wird darum oft nicht als neutraler, eigenständiger Name wahrgenommen, sondern vielmehr haben Leute den Eindruck, mit mir zu schimpfen oder ungerechtfertigt unfreundlich zu sein, wenn sie mich Anke nennen.
Ergo reihe ich mich nun für einige in die Reihe der Anias ein. Seufz! Dahin ist die Individualität.
Der Blick von meinem neuen Schreibtisch bei günstiger Witterung
Kaum saß ich, zog mich eine der Gosias (*) von meinem Stuhl und wirkte aufgeregt.
"Nein, das geht nicht, schnell, wir tauschen die Plätze - ich nehme Deinen Platz. Ich bin ja verheiratet."
Der Kontext erschloss sich mir keineswegs. Schließlich gab ich aber nach und bekam statt meinem mittelkomfortablen Platz an der Ecke des Tisches einen mit direktem Zugang zu einer Tischseite.
Die Erklärung folgte bald: In Polen (und übrigens auch in der Ukraine) befürchtet man, dass eine auf eine unverheiratete Frau zeigende Tischecke auf irgendeinem obskuren Wege deren Chancen auf eine zukünftige Heirat zunichte macht. Gosia war bereits sicher, da unter der Haube, und konnte so entspannt den Platz an mich abtreten.
Am letzten Freitag hatten wir eine vorgezogene Andrzejki-Party im Büro. Andrzejki ist eigentlich am 30. November, am Tag des heiligen Andreas. Irgendwer sagte mir mal, dass es die Fastenzeit vor Weihnachten einläutet, doch das ist unbestätigt. Sicher ist, dass man allerlei Spielchen nachgeht, in denen man als (wie könnte es anders sein) unverheiratete Frau herausfindet, ob, wann und wen man ehelichen wird. Per Wachsgießen kann man Details über den Zukünftigen zu ergründen versuchen, eine Kartenlegerin kann weitere Informationen liefern, und als Höhepunkt ziehen alle Damen einen Schuh aus und begeben sich in eine Zimmerecke. Dort stellt die erste ihren Schuh ab, die nächste ihren dann mit der Ferse an die Spitze des ersten, und sobald alle ihr Schuhwerk ebenso plaziert haben, setzt die erste ihren Schuh an die Spitze. So kann man sich dann heiter quer durch den Raum bewegen. Die Besitzerin des Schuhs, der die Türschwelle überquert, kann dann im folgenden Jahr auf eine Eheschließung hoffen.
Nun, das war dann mein Schuh. Ich war nicht allzu heiratswütig in diese Vergnügung gegangen (ich wurde eher zwangsverpflichtet), sah mich dann aber einigen sehr enthusiastischen Damen gegenüber, von denen eine sogar meinen Schuh zu erbeuten versuchte. (Das verbat ich mir, witterungshalber.)
Ich habe beschlossen, anzunehmen, dass sich nun die Weisheit meines Schuhs und die Macht des Tisches ungefähr die Waage halten.
Die Zukunft bleibt damit gewohnt ungewiss.
(*) Polen ist ein wenig unterversorgt an Vornamen in der Generation, die heute zwischen 20 und 30 ist. Unter den rund 100 Leuten im Büro reichen teilweise nicht einmal mehr die Buchstaben der Nachnamen zur eindeutigen Identifizierung - wir haben allein 3 Kasia K.s und 2 Asia Po.s und eine Vielzahl sonstiger Namensdopplungen.
Als Anke bin ich da zwar nicht direkt betroffen, doch selbst vor meinem ja eigentlich bereits verniedlichten Vornamen macht der wahre Pole nicht halt. Das Problem hier: "Anka" ist eine gängige Verkürzung von "Anna". Und Vornamen werden im Polnischen grundsätzlich nach festen Regeln abgekürzt. Eine Anna wird damit gewöhnlich zur Ania, manchmal bei besonderer Zuneigung auch zu Anusia. "Anka" wird sie dagegen nur bei Verärgerung oder höchst formaler, distanzierter Anrede. Mein Vorname wird darum oft nicht als neutraler, eigenständiger Name wahrgenommen, sondern vielmehr haben Leute den Eindruck, mit mir zu schimpfen oder ungerechtfertigt unfreundlich zu sein, wenn sie mich Anke nennen.
Ergo reihe ich mich nun für einige in die Reihe der Anias ein. Seufz! Dahin ist die Individualität.